From 9ffd19c2856057275e3cb10dda5fe1d8b5d93d7d Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Elisabeth Waczek <140592956+EWaczek@users.noreply.github.com> Date: Wed, 13 Nov 2024 14:27:48 +0100 Subject: [PATCH] add asides dual use DE --- .../content/de/issues/2024/posts/1_dual-use.mdx | 16 ++++++++++++++++ 1 file changed, 16 insertions(+) diff --git a/cntr-monitor/content/de/issues/2024/posts/1_dual-use.mdx b/cntr-monitor/content/de/issues/2024/posts/1_dual-use.mdx index af6e93fa..cfd1d4c7 100644 --- a/cntr-monitor/content/de/issues/2024/posts/1_dual-use.mdx +++ b/cntr-monitor/content/de/issues/2024/posts/1_dual-use.mdx @@ -54,6 +54,10 @@ authors: Im Bereich der militärischen nationalen Sicherheit werden Güter in der Regel dann als Dual-Use-Güter verstanden, wenn es für sie – gegebenenfalls in angepasster Form – sowohl eine legitime zivile als auch eine militärische Verwendung gibt.[^1] Dieselbe Definition gilt auch für internationale Sicherheit und Frieden im weiteren Sinne.[^2] Der Begriff „Güter“ umfasst sowohl physische Artefakte als auch Software oder grundlegende Technologien. Während viele Güter oder Technologien grundsätzlich unter diese Definition fallen, muss es sich bei dem Gut präziser um ein „Haupt- oder Schlüsselelement für die inländische Entwicklung, Herstellung, Nutzung oder Verbesserung der militärischen Fähigkeiten“[^3] handeln. Der Einsatz solcher Güter oder Technologien kann legitime militärische Anwendungen umfassen, aber auch unrechtmäßige, wenn die Güter oder Technologien in einer Weise eingesetzt werden, die nicht mit internationalen rechtlichen Verpflichtungen, einschließlich des humanitären Völkerrechts, vereinbar ist. Über die klassische Dichotomie von ziviler und militärischer Nutzung hinaus kann der Begriff „Dual Use“ auch verwendet werden, wenn legitime, mit guten Absichten betriebene Forschung nicht per se militärische Anwendungen hat, aber dennoch für bösartige Zwecke wie illegale Waffenprogramme oder kriminelle oder terroristische Handlungen missbraucht werden könnte. + + Während sich Dual-Use-Anwendungen bei bereits vorhandenen oder genutzten Technologien sowie bei der angewandten Forschung und Entwicklung von Technologien in fortgeschrittenen Stadien (z. B. Prototypen) leichter identifizieren lassen, sind sie typischerweise in früheren Entwicklungsstadien und in der Grundlagenforschung schwieriger vorhersehbar. Hier muss die Verantwortung der einzelnen Forschenden betont werden, mögliche unbeabsichtigte Folgen kritisch zu prüfen. Unbeabsichtigte Folgen können die illegitime Nutzung von Wissen und Technologie betreffen, aber auch die rechtlich zulässige militärische Nutzung, wenn sich Forschende oder einschlägige Einrichtungen zur rein zivilen Forschung verpflichtet haben. So wichtig die Verantwortung des Einzelnen auch ist, müssen für neue Technologien, die schwerwiegende Auswirkungen auf die Sicherheit haben könnten, möglicherweise neue institutionelle Formen der Regulierung entwickelt werden. Vor diesem Hintergrund haben führende Forschende im Bereich der Künstlichen Intelligenz beispielsweise kürzlich die Gründung einer internationalen Organisation gefordert, die die Entwicklung dieser Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts überwachen soll.[^4] Dieses Kapitel gibt zunächst einen allgemeinen Überblick über die Dual-Use-Regulierung und juristische Hintergründe. Danach wird näher auf die Forschungs- und Technologiebereiche eingegangen, die im Mittelpunkt dieser Publikation stehen: Forschung und Entwicklung mit Relevanz für konventionelle Waffen einerseits und potenzielle Risiken der biologischen Forschung andererseits. @@ -66,6 +70,10 @@ Strategische Handelskontrollen, wie z. B. nationale Ausfuhrkontrollvorschriften, Die Internationalisierung der Ausfuhrkontrollvorschriften für Dual-Use-Güter[^7] erfolgte in der Regel durch Soft-Law-Instrumente. Rechtlich nicht bindende Kooperations­vereinbarungen wie das Wassenaar-Arrangement, die Gruppe nuklearer Lieferländer (Nuclear Suppliers Group), das Zangger-Komitee, das Missile Technology Control Regime und die Australische Gruppe wurden bevorzugt. Denn sie wahren den nationalen Ermessensspielraum hinsichtlich der Frage, welche Güter, Software und Technologie an wen weitergegeben werden dürfen. Oft standen Bündniserwägungen über Überlegungen zur Rüstungskontrolle. + + Für bestimmte Waffensysteme gibt es jedoch Vorschriften, die über die Exportkontrolle hinausgehen. Insbesondere wurden alle Massenvernichtungswaffen durch rechtsverbindliche internationale Abkommen reguliert oder verboten. So verbietet der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) von 1968 den Nichtkernwaffenstaaten den Erwerb von Kernwaffen. Biologische Waffen sind durch das Biowaffen-Übereinkommen (BWÜ) von 1972 umfassend verboten. Das 1993 zur Unterzeichnung aufgelegte Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) verbietet chemische Waffen. Alle drei Verträge verpflichten die Mitgliedstaaten, die Proliferation der fraglichen Waffen zu verhindern. Gleichzeitig können Nichtverbreitungs- und Rüstungskontrollabkommen Bestimmungen zum Transfer von Technologie und relevantem Wissen enthalten. Das CWÜ enthält konkrete Bestimmungen über den internationalen Handel mit Chemikalien und deren Entwicklung (Artikel XI (2) (b) des CWÜ), und das BWÜ und das CWÜ verpflichten die Mitgliedstaaten ganz allgemein, die internationale Zusammenarbeit zu fördern und den technologischen Austausch im Bereich der Biologie bzw. der Chemie nicht zu behindern. Der NVV erlaubt nicht nur die zivile Nutzung der Kernenergie, sondern verpflichtet Staaten, die Kernenergie nutzen, Staaten, die noch nicht über diese Technologie verfügen, bei der Einführung der zivilen Nutzung zu unterstützen (Art. III NVV). Es besteht also ein inhärentes Spannungsverhältnis zwischen Nichtverbreitung und internationaler Zusammenarbeit. Das überträgt sich auch auf die Frage des Umgangs mit Dual-Use-Gütern und -Technologien. Schließlich ist der Umgang mit Dual-Use-Forschung in inländischen Einrichtungen eine gesonderte Frage. Es findet derzeit eine lebhafte Debatte statt, die auch Diskussionen über geeignete Strategien und Maßnahmen zur Steuerung umfasst, insbesondere in Bezug auf die sogenannte „Dual-Use Research of Concern” (DURC) – also Forschung, die zu Ergebnissen führen könnte, die ein unmittelbares Risiko des Missbrauchs mit potenziell schwerwiegenden Folgen bergen. Ursprünglich konzentrierte sich diese Debatte auf die Biowissenschaften, hat sich aber inzwischen auch auf die Regulierung der Dual-Use-Forschung in anderen wissenschaftlichen Disziplinen ausgeweitet. @@ -78,6 +86,10 @@ Generell ist es wichtig zu betonen, dass das Dual-Use-Dilemma Formen der Regulie Im BWÜ und im CWÜ wurden beispielsweise Gegenstand und Zweck von Materialien und Technologien in die Definition der verbotenen Waffen aufgenommen. Das führte zur Entstehung des sogenannten Allgemeinen Zweckkriteriums (General Purpose Criterion) (z. B. Artikel II (1) (a) CWÜ: „die für nach diesem Übereinkommen nicht verbotene Zwecke bestimmt sind“; Artikel I BWÜ, der das Verbot auf biologische Agenzien und Trägermittel bezieht, die zum Einsatz „für feindselige Zwecke oder in einem bewaffneten Konflikt“ bestimmt sind).[^12] Es ist bemerkenswert, dass das BWÜ und das CWÜ nur deshalb zu umfassenden Rüstungskontrollverträgen werden konnten, weil sie diese subjektiven Elemente in die Definition der verbotenen Waffen aufgenommen haben. Die Herausforderung bestand darin, Bestimmungen zu entwickeln, die den Auslegungsspielraum des Allgemeinen Zweckkriteriums eingrenzen würden.[^13] Gleichzeitig ist im Falle des CWÜ zu bemerken, dass es zwar von einer der eindrucksvollsten internationalen Organisationen unterstützt wird, die zur Umsetzung eines internationalen Übereinkommens geschaffen wurde. Die Rolle der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) ist jedoch im Hinblick auf die Handhabung des Allgemeinen Zweckkriteriums begrenzt. Die Auslegung dieses Kriteriums liegt weiterhin weitgehend in den Händen der Vertragsstaaten, die jedoch die Möglichkeit haben, ihre Vorgehensweise und ihre Bemühungen zur Umsetzung der Vertragsbestimmungen auf internationaler Ebene zu koordinieren. Letzteres gilt auch für das BWÜ, das über keine internationale Organisation verfügt. + + Die Einbeziehung subjektiver Elemente in die Definition von sensitiven Dual-Use-Materialien auf internationaler Ebene wurde bisher nicht durch internationale Verwaltungsverfahren, Entscheidungsbefugnisse oder die Einrichtung von Behörden unterstützt. Es besteht also ein konzeptionelles Ungleichgewicht bei der Behandlung von Dual-Use-Fragen auf internationaler Ebene. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNSC) hat mit der Verabschiedung der UNSC-Resolution 1540 (2004) versucht, einige der sich daraus ergebenden Unsicherheiten zu verringern. Aber die Bemühungen, sowohl die Regelungs- als auch die Entscheidungsbefugnisse in den Händen des Sicherheitsrats zu konzentrieren, waren nur von begrenztem Erfolg. Vielmehr muss die internationale Gemeinschaft bis auf weiteres mit diesem Ungleichgewicht zwischen (international vereinbarten) subjektiven Kriterien und (nationalen) Befugnissen zur (administrativen) Entscheidungsfindung leben. Der meistversprechende, wenn auch schwierige Weg, um Dual-Use-Probleme auf völkerrechtlicher Ebene zuverlässig zu lösen, wäre die Aufnahme von (objektiven) Kriterien, die den Interpretationsspielraum subjektiver Elemente einschränken, gleichzeitig aber den umfassenden Geltungsbereich der Verbote aufrechterhalten könnten. In Ermangelung einer internationalen Regelung haben die Staaten unterschiedliche Ansätze verfolgt, um die Dual-Use-Problematik im Bereich der konventionellen Waffen und im Bereich der Biologie zu bewältigen, wie in den folgenden Abschnitten dargelegt wird. ## Dual Use und konventionelle Waffen @@ -106,6 +118,10 @@ Eine weitere Dimension des Dual-Use-Problems im biologischen Bereich betrifft di Das prominenteste Beispiel für Forschung, die mit guten Absichten durchgeführt wurde, aber auch potenzielle neue Risiken birgt, sind die 2011/12 durchgeführten Experimente mit der H5N1-Variante der Vogelgrippe: Forschende in den USA und den Niederlanden hatten versucht, die Übertragbarkeit des Virus in Frettchen, deren Immunsystem ein gutes Modell für menschliche Immunprozesse ist, zu verbessern, um sein pandemisches Potenzial zu bewerten.[^20] Eine Pandemie mit H5N1 beim Menschen könnte noch schwerer wiegende Folgen haben als die Covid-19-Pandemie, so dass die Verhinderung eines weltweiten Ausbruchs von höchstem Interesse für die öffentliche Gesundheit ist. Kritiker*innen des Experiments wiesen jedoch darauf hin, dass diese Art von Forschung dazu beitragen könnte, eben die Gefahr erst zu schaffen, gegen die sie gerichtet ist. Dies löste eine weltweite Kontroverse über sogenannte „Dual-Use Research of Concern“ (DURC) aus, also Dual-Use-Forschung mit besonders hohem Risikopotenzial. Die H5N1-Experimente stießen auch die Diskussion über den Umgang mit Dual-Use-Forschung in Deutschland an. + + Wie auch in anderen Bereichen der Rüstungskontrolle gibt es keine global gültigen internationalen Weitergabe- oder sonstigen Vorschriften für biowaffenbezogene Dual-Use-Forschung oder -Güter. Die Australische Gruppe ist eine informelle Vereinigung, in der 43 Staaten und die EU ihre Ausfuhren koordinieren, die mit chemischen und biologischen Waffen in Zusammenhang stehen könnten; ihre Mitglieder haben Listen von Materialien, Ausrüstungen und Technologien erstellt, die als Dual-Use-Produkte gelten und von den Gruppenmitgliedern nationalen Ausfuhrkontrollen unterworfen werden sollen. Nach Artikel IV des BWÜ wird von allen BWÜ-Mitgliedsstaaten erwartet, dass sie nationale Exportkontrollen einführen, um die Verpflichtung des BWÜ zur Nichtverbreitung umzusetzen. Die genaue Ausgestaltung dieser Kontrollen bleibt jedoch dem Ermessen der einzelnen Staaten überlassen. Auch für den Bereich der Biowissenschaften gibt es keine weltweit einheitlichen Definitionen, Konzepte oder Strategien für den Umgang mit Dual Use. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2022 einen „Globalen Orientierungsrahmen für die verantwortungsvolle Nutzung der Biowissenschaften“ veröffentlicht, der „Werte und Grundsätze, Instrumente und Mechanismen zur Unterstützung der Mitgliedstaaten und der wichtigsten Interessengruppen bei der Minderung und Vermeidung von Biorisiken und der Regelung der Dual-Use-Forschung“ bieten soll.[^21] Die Umsetzung dieses Rahmens erfolgt auf rein freiwilliger Basis, was dem im BWÜ verfolgten Ansatz entspricht, den Schwerpunkt auf freiwillige Maßnahmen und Selbstregulierung zu legen, wie z. B. die Sensibilisierung für das Dual-Use-Problem oder die Förderung von Verhaltenskodizes für Biowissenschaftler*innen, um die von Forschung mit Dual-Use-Potenzial ausgehenden Risiken einzudämmen. Dies erfordert eigentlich eine kontinuierliche Beobachtung der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen. Derzeit ist dies ausschließlich den Staaten selbst überlassen, und die Kapazitäten dafür sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im Rahmen des BWÜ wird aktuell über die Einrichtung eines wissenschaftlichen Beratungsmechanismus diskutiert, der auch dabei helfen könnte, Forschung mit Dual-Use-Potenzial zu erkennen. Die Regulierung solcher Forschung bleibt jedoch vorerst in den Händen der Staaten.