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Antoine de Saint-Exupéry
Der kleine Prinz
Mit Zeichnungen des Verfassers
Aus dem Französischen von R. Strassenburg
!2
Für LÉON WERTH
Ich entschuldige mich bei den Kindern dafür, dieses Buch einem
Erwachsenen gewidmet zu haben. Ich habe aber eine wirklich gute
Entschuldigung: Dieser Erwachsene ist der beste Freund, den ich
auf der Welt habe. Und ich habe noch eine andere Entschuldigung:
dieser Erwachsene kann alles verstehen – sogar Bücher für Kinder.
Und ich habe noch eine dritte Entschuldigung: Dieser Erwachsene
lebt in Frankreich, er hat Hunger und ihm ist kalt. Er muss getröstet
werden. Wenn alle diese Entschuldigungen nicht gelten, dann
möchte ich dieses Buch dem Kind widmen, das dieser Erwachsene
einst war. Alle Erwachsenen waren einmal Kinder (aber nur wenige
erinnern sich daran). Deswegen muss ich meine Widmung noch
einmal korrigieren:
Für LÉON WERTH
Als er ein kleiner Junge war
!3
!
Kapitel I
Als ich sechs Jahre alt war, habe ich in einem Buch über den Urwald, das den Titel "Erlebte Geschichten" trug, das erste Mal ein
wunderschönes Bild gesehen. Es zeigte eine Riesenschlange, die
ein wildes Tier verschlingt. Hier ist das Bild mal nachgezeichnet:
Im Buch hieß es: "Riesenschlangen verschlingen ihre Beute in einem Stück, ohne sie zu zerkauen. Danach können sie sich nicht
mehr bewegen und halten sechs Monate lang Verdauungsschlaf."
So habe ich viel über Dschungelabenteuer nachgedacht und dann
gelang mir mit einem Farbstift meine Zeichnung Nr. 1.
!4
Sie sah so aus:
!
Ich zeigte mein Meisterwerk den Erwachsenen und habe sie gefragt, ob sie vor meiner Zeichnung Angst hätten:
Sie haben mir geantwortet: "Warum sollte man vor einem Hut
Angst haben?"
Dabei war auf meinem Bild gar kein Hut. Es zeigte eine Riesenschlange, die einen Elefanten verdaut. So habe ich also das Innere
der Schlage gezeichnet, um es den Großen verständlich zu machen.
Immer muss man ihnen alles erklären. Meine Zeichnung Nr. 2 sah
so aus:
!
Die Erwachsenen haben mir geraten, mich nicht mehr mit offenen
oder geschlossenen Riesenschlangen zu beschäftigen, sondern mich
stattdessen mehr für Geografie, Geschichte, Mathe und Grammatik
zu interessieren. So gab ich mit sechs Jahren meine vielversprechende Malerkarriere auf.
!5
Derart entmutigt war ich vom Misserfolg meiner Zeichnungen Nr.
1 und Nr. 2. Erwachsene verstehen nie etwas von ganz allein, und
für die Kinder ist es anstrengend, ihnen immer alles zu erklären.
So musste ich einen anderen Beruf finden und ich lernte, Flugzeuge
zu steuern. Ich flog ein bisschen in der Welt herum. Und es stimmt,
dabei half mir die Geographie. Auf den ersten Blick konnte ich
China von Arizona unterscheiden. Das ist sehr nützlich, wenn man
sich in der Nacht verirrt hat.
So hatte ich im Laufe meines Lebens mit vielen ernsthaften Leuten
zu tun. Ich habe viel bei Erwachsenen gelebt und ich habe sie ganz
aus der Nähe betrachtet. Aber meine Meinung über sie hat sich
deshalb nicht sonderlich verbessert.
Wenn ich einen traf, der mir ein bisschen heller vorkam, dann testete ich ihn mit meiner Zeichnung Nr. 1, die ich immer bei mir trug.
Ich wollte wissen, ob er wirklich schlau war. Aber immer erhielt ich
die Antwort: "Es ist ein Hut." So sprach ich weder von Riesenschlangen, noch vom Urwald oder von Sternen. Ich ließ mich auf
ihn ein. Ich sprach über Bridge, Golf, über Politik und Krawatten.
Und der Erwachsene war zufrieden, auf einen so vernünftigen
Mann zu treffen.
!6
Kapitel II
So lebte ich allein, ohne jemanden, mit dem ich wirklich hätte sprechen können, bis ich vor sechs Jahren eine Panne in der Wüste Sahara hatte. Irgendetwas an meinem Motor war kaputt gegangen.
Und weil ich weder einen Mechaniker, noch Passagiere bei mir
hatte, bereitete ich mich darauf vor, die schwierige Reparatur ganz
allein vorzunehmen. Dabei ging es für mich um Leben und Tod. Ich
hatte Trinkwasser für knapp acht Tage.
Am ersten Abend schlief ich im Sand ein, tausende Meilen entfernt
von besiedeltem Gebiet. Ich war viel abgeschiedener als ein Schiffbrüchiger mitten im Ozean. So könnt ihr euch vorstellen, wie überrascht ich war, als ich bei Sonnenaufgang von einer leisen, lustigen
Stimme geweckt wurde. Und die sagte:
- "Bitte ... zeichne mir ein Schaf!"
- "Wie bitte?"
- "Zeichne mir ein Schaf."
Ich sprang auf, als wäre ich vom Blitz getroffen worden. Ich rieb
mir die Augen und schaute genau hin. Und ich sah ein außergewöhnliches, kleines Kerlchen, das mich ernst betrachtete. Hier das
beste Porträt, das ich später von ihm zu Stande brachte. Aber natürlich ist meine Zeichnung weit weniger bezaubernd als das Original.
Das ist nicht meine Schuld. Die Großen haben mich von meiner
Malerkarriere abgebracht als ich sechs Jahre alt war, sodass ich
nichts zu zeichnen gelernt hatte als geschlossene und offene Riesenschlangen.
!7
Ich schaute also voller Verwunderung mit aufgerissenen Augen auf
diese Erscheinung. Vergesst nicht, ich war tausend Meilen entfernt
!
von jeglichem besiedelten Gebiet. Dabei schien mir das kleine
Kerlchen weder verirrt, noch todmüde, weder hungrig oder durstig,
noch todängstlich. Es wirkte ganz und gar nicht wie ein Kind, verloren inmitten der Wüste, tausend Meilen entfernt von jeglicher
Zivilisation.
Als ich mich endlich gefasst hatte, sagte ich:
- "Aber ... was machst du denn hier?"
!8
Da wiederholte er ganz sacht, als handele es sich um eine sehr
ernstzunehmende Angelegenheit:
- "Bitte ... zeichne mir ein Schaf ..."
Bei etwas so beeindruckend Rätselhaftem wagt man nicht zu widersprechen. So absurd es mir erschien, holte ich tausend Meilen
entfernt von jeder Zivilisation meinen Farbstift hervor, ein Blatt
Papier und einen Füller. Ich erinnerte mich daran, dass ich vor allem Geographie, Geschichte, Mathematik und Grammatik erlernt
hatte und so sagte ich schlecht gelaunt zu dem kleinen Männchen,
dass ich nicht zeichnen könne. Er antwortete mir:
- "Das macht nichts. Zeichne mir ein Schaf."
Weil ich niemals ein Schaf gezeichnet hatte, malte ich einfach eines
der zwei Bilder, die ich beherrschte. Jenes von der geschlossenen
Riesenschlange. Und ich war verblüfft als der kleine Kerl mir antwortete:
- "Nein! Nein! Ich will keinen Elefanten in einer Riesenschlage.
Eine Riesenschlange ist sehr gefährlich und ein Elefant nimmt viel
Platz weg. Bei mir ist es ganz klein. Ich brauche ein Schaf. Zeichne
mir ein Schaf."
!9
So habe ich also gezeichnet.
!
Er schaute aufmerksam zu und dann:
- "Nein! Dieses ist schon sehr krank. Zeichne ein anderes."
!10
Und ich zeichnete:
!
Mein Freund lächelte lieb und sagte nachsichtig:
- "Siehst du ... das ist kein Schaf, das ist ein Hammel. Das hat Hörner ..."
!11
So machte ich einen neuen Versuch:
!
Aber er wurde wie die vorherigen abgelehnt:
- "Das da ist zu alt. Ich möchte ein Schaf, das lange lebt."
!12
Da ich meinen Motor endlich auseinander bauen wollte, schluderte
ich ungeduldig dieses Bild hin:
!
Und sagte:
- "Das hier ist eine Kiste. Das Schaf ist da drin."
Aber ich war sehr überrascht, als ich sah, wie das Gesicht meines
jungen Kritikers strahlte:
- "Genauso wollte ich es! Glaubst Du, man braucht viel Gras für
dieses Schaf?"
- "Warum?"
- "Weil es bei mir ganz klein ist ..."
- "Es reicht ganz sicher aus. Ich habe dir ein ganz kleines Schaf
gegeben."
Er beugte den Kopf über die Zeichnung:
- "Na so klein auch nicht ... Schau! Es ist eingeschlafen ..."
Und so habe ich den kleinen Prinzen kennengelernt.
!13
Kapitel III
Ich brauchte lange, um zu verstehen, woher er kam. Der kleine
Prinz stellte mir viele Fragen, aber schien meine zu überhören. Es
waren zufällig ausgesprochene Worte, durch die mir nach und nach
alles klar wurde. Als er das erste Mal mein Flugzeug sah (ich
zeichne mein Flugzeug hier nicht, denn das ist viel zu schwierig für
mich), da fragte er mich:
- "Was ist dieses Ding?"
- "Das ist kein Ding. Es fliegt. Das ist ein Flugzeug. Das ist mein
Flugzeug."
Ich war stolz ihm mitzuteilen, dass ich fliegen konnte. Aber er rief:
- "Wie! Du bist vom Himmel gefallen?"
- "Ja, erwiderte ich bescheiden."
- "Ah! Das ist lustig ..."
Und der kleine Prinz brach in ein herzliches Lachen aus, das mich
sehr verärgerte. Ich wünsche, dass man ernst nimmt, was mir an
Unheil zustößt.
Dann fügte er hinzu:
- "Also kommst Du auch aus dem Himmel! Von welchem Planeten
stammst du?"
Plötzlich wurde mir klar, was es mit seiner Anwesenheit auf sich
haben könnte und ich fragte schnell:
- "Du stammst also von einem anderen Planeten?"
Aber er antwortete mir nicht. Er nickte nur sanft während er mein
Flugzeug betrachtete:
- "Auf diesem Ding kannst du nicht von sehr weit her kommen ...."
Und er verfiel in eine lange Träumerei. Er holte das Schaf aus seiner Tasche und bewunderte lange Zeit seinen Schatz.
!14
Ihr könnt euch vorstellen, wie sehr es mich beschäftigte, was er mir
über die "anderen Planeten" schon halb anvertraut hatte. So strengte
ich mich an, mehr darüber zu erfahren:
- "Woher kommst du kleiner Kerl? Wo ist dein Zuhause? Wohin
willst du mein Schaf mitnehmen?"
Er antwortete mir nach einem nachdenklichen Schweigen:
- "Das Gute an der Kiste, die du mir gegeben hast, ist, dass sie ihm
als Haus dienen wird in der Nacht."
- "Ganz bestimmt. Und wenn du nett bist, gebe ich dir auch einen
Strick, um es nachts festzubinden. Und einen Pflock."
Dieser Vorschlag schien den
kleinen Prinzen zu schockieren:
- "Es festbinden? Was für eine
merkwürdige Idee."
- "Aber wenn du es nicht festbindest, kann es überall hingehen und sich verlaufen ..."
Erneut brach mein Freund in
Lachen aus:
- "Aber wohin soll es denn
deiner Meinung nach gehen?"
- "Egal wohin, einfach geradeaus ..."
Im ernsten Ton bemerkte der
kleine Prinz:
- "Das macht nichts, es ist so klein bei mir!"
!15
Und, vielleicht ein bisschen traurig, fügte er hinzu:
- "Geradeaus kommt man nicht besonders weit ..."
!16
Kapitel IV
So lernte ich eine zweite wichtige Sache: Sein Heimatplanet war
kaum größer als ein Haus!
Das wunderte mich nicht. Ich wusste genau, dass es neben den großen Planeten wie der Erde, dem Jupiter, dem Mars oder der Venus,
denen wir Namen gegeben hatten, noch hunderte anderer Planeten
gibt, die manchmal so klein sind, dass man sie selbst durch ein Teleskop kaum erkennen kann. Wenn ein Astronom einen von ihnen
entdeckt, so gibt er ihm eine Nummer anstelle eines Namens. Er
nennt ihn zum Beispiel: "Asteroid 3251.“
!
!17
Ich habe ernstzunehmende Gründe zu glauben, dass der Heimatplanet des kleinen Prinzen der Asteroid B 612 ist. Nur ein einziges
Mal, im Jahre 1909, hat ein türkischer Astronom diesen Asteroiden
durch sein Fernrohr gesehen.
Seine Entdeckung hatte er bei einem Internationalen AstronomieKongress vorgeführt. Aber wegen seiner traditionellen Tracht hatte
ihm niemand glauben wollen. So sind die Erwachsenen.
!
Zum Glück für den Asteroiden B 612 zwang ein türkischer Diktator
sein Volk unter Androhung der Todesstrafe, sich nach europäischer
Art zu kleiden. So wiederholte der Astronom in sehr eleganter
Kleidung seine Vorführung im Jahre 1920. Und dieses Mal waren
alle seiner Meinung.
!18
!
Wenn ich euch diese Details über den Asteroiden B 612 erzähle und
seine Nummer verraten habe, dann wegen der Erwachsenen. Erwachsene lieben Zahlen. Erzählt ihr ihnen von einem neuen
Freund, stellen sie euch nie Fragen über das Wesentliche. Sie sagen
niemals: "Wie klingt seine Stimme? Was sind seine Lieblingsspiele? Sammelt er Schmetterlinge? Sie fragen euch: "Wie alt ist er?
Wie viele Geschwister hat er? Wie viel wiegt er? Wie viel verdient
sein Vater?" Damit glauben sie, ihn zu kennen. Erzählt ihr den Erwachsenen: "Ich habe ein schönes Haus aus roten Ziegelsteinen
gesehen, mit Geranien vor den Fenstern und Tauben auf dem
Dach ...", dann gelingt es ihnen nicht, sich dieses Haus vorzustellen. Man muss ihnen sagen: "Ich habe ein Haus gesehen, dass hunderttausend Francs wert ist." Dann rufen sie erfreut: "Oh, wie
schön!"
!19
Wenn ihr ihnen also sagt: "Der Beweis dafür, dass es den kleinen
Prinzen wirklich gegeben hat, liegt darin, dass er bezaubernd war,
dass er lachte und dass er sich ein Schaf wünschte; wenn man ein
Schaf möchte, beweist das doch, dass es Einen gibt" – dann werden
sie mit den Schultern zucken und euch wie ein Kind behandeln!
Sagt ihr ihnen aber: "Sein Heimatplanet ist der Asteroid B 612",
dann werden sie überzeugt sein und euch in Ruhe lassen mit ihren
Fragen. So sind sie. Man darf ihnen deswegen nicht böse sein. Kinder müssen mit Erwachsenen nachsichtig sein.
Aber wir, die das Leben verstehen, lachen natürlich über Zahlen!
Eigentlich hätte ich die Geschichte viel lieber wie ein Märchen
begonnen. Ich hätte gerne gesagt:
"Es war einmal ein kleiner Prinz, der lebte auf einem Planeten, der
war kaum größer als er selbst und er brauchte einen Freund. Für all
jene, die das Leben verstehen, würde das viel richtiger klingen.
Denn ich mag es nicht, wenn man mein Buch so leichtfertig liest.
Es betrübt mich, von diesen Erinnerungen zu erzählen. Es ist schon
sechs Jahre her, dass mein Freund mit seinem Schaf verschwunden
ist.
Wenn ich versuche, ihn hier zu beschreiben, dann deswegen, um
ihn nicht zu vergessen. Es ist traurig, einen Freund zu vergessen.
Nicht jeder hatte schon mal einen Freund. Ich könnte wie die Großen werden, die sich nur noch für Zahlen interessieren. Doch deswegen habe ich mir ja den Farbkasten und die Stifte gekauft. Es ist
schwierig, in meinem Alter wieder mit dem Zeichnen anzufangen,
!20
wenn man nie etwas Anderes versucht hat, als mit sechs Jahren eine
geschlossene und eine offene Riesenschlange zu malen. Ich werde
natürlich versuchen, die Abbildungen möglichst wahrheitsgetreu zu
zeichnen. Aber ich bin nicht sicher, ob ich es schaffe. Das eine Bild
gelingt, das andere hat schon keine Ähnlichkeit mehr. Auch mit der
Größe liege ich ein bisschen falsch. Hier ist der kleine Prinz zu
groß. Da ist er zu klein. Auch zögere ich bei der Farbe seiner Kleidung. Ich versuche es mal so und mal so, eben so gut es geht. Ich
werde mich bestimmt bei einigen, viel wichtigeren Details täuschen. Aber das muss man mir nachsehen. Mein Freund gab mir nie
irgendwelche Erklärungen. Er glaubte vielleicht, ich sei ihm ähnlich. Aber ich weiß nicht, wie man durch Kistenbretter hindurch
Schafe sieht. Vielleicht bin ich doch schon ein bisschen wie die
Erwachsenen. Ich muss älter geworden sein.
!21
Kapitel V
Jeden Tag lernte ich etwas über den Planeten, über den Abschied,
über die Reise. Das kam nach und nach, durch zufällige Überlegungen. Auf diese Weise erfuhr ich am dritten Tag von der Tragödie
mit den Affenbrotbäumen.
!
Auch das geschah dank eines Schafs, denn plötzlich fragte mich der
kleine Prinz wie von einem schlimmen Zweifel überkommen:
- "Es ist doch wahr, dass Schafe Sträucher fressen, oder?"
- "Ja, das ist wahr."
- "Ah! Da bin ich froh."
!22
Ich verstand nicht, warum es so wichtig war, dass Schafe Sträucher
fressen. Aber der kleine Prinz fügte hinzu:
- "Also fressen sie auch Affenbrotbäume?"
Ich wies den kleinen Prinzen darauf hin, dass Affenbrotbäume keine Sträucher seien, sondern Bäume, so groß wie Kirchen und selbst
wenn er sich eine ganze Herde Elefanten mitnehmen würde, so
würde die Herde nicht an einen einzigen Affenbrotbaum heranreichen.
Über die Idee mit den Elefanten musste der kleine Prinz lachen:
- "Man müsste sie übereinander stapeln."
Aber dann bemerkte er weise:
- "Bevor die Affenbrotbäume wachsen, sind sie doch erst klein."
- "Das stimmt! Aber warum möchtest du, dass deine Schafe die
kleinen Affenbrotbäume fressen?"
Er antwortete: "Schon gut! Wir werden ja sehen!" als ginge es um
eine Selbstverständlichkeit. Und es kostete mich ganz schön viel
Intelligenz, um dieses Problem allein zu verstehen.
Es gab auf dem Planeten des kleinen Prinzen wie auf jedem Planeten natürlich gute und schlechte Pflanzen. Daher gab es auch gute
Samen von guten Pflanzen und schlechte Samen von schlechten
Pflanzen. Aber Samen sind unsichtbar. Sie schlafen verborgen in
der Erde, bis aus einer Laune heraus ein Korn erwacht. Es reckt
sich und schiebt ganz schüchtern noch einen entzückenden kleinen,
ganz harmlosen Halm der Sonne entgegen. Handelt es sich um den
Trieb eines Radieschens oder einer Rose, dann kann man ihn so
wachsen lassen, wie es ihm gefällt. Aber wenn es sich um Unkraut
handelt, dann muss man die Pflanze umgehend herausreißen, sobald man sie entdeckt hat. Nun gab es schreckliche Samenkörner
!23
auf dem Planeten des kleinen Prinzen ... Es waren die Samen der
Affenbrotbäume. Der Boden des Planeten war davon übersät. So
einen Affenbrotbaum wird man nicht mehr los, wenn man sich zu
spät darum kümmert. Er befällt den ganzen Planeten. Er durchbohrt
ihn mit seinen Wurzeln. Und wenn der Planet zu klein ist und die
Affenbrotbäume zu zahlreich werden, dann sprengen sie ihn.
- "Das ist eine Frage der Disziplin", sagte mir später der kleine
Prinz.
- "Wenn man morgens aus dem Bad kommt, dann muss man auch
den Planeten säubern. Man muss sich dazu zwingen, die Affenbrotbäume regelmäßig herauszureißen, sobald man sie von den Rosen
unterscheiden kann, denen sie in jungem Alter sehr ähneln. Es ist
eine nervige, aber ziemlich einfache Arbeit."
!24
!
Und eines Tages riet er mir, mich doch zu bemühen, eine schöne
Zeichnung zu Stande zu bringen, damit die Kinder bei mir zuhause
es sich einprägten.
- "Wenn sie eines Tages reisen", sagte er mir: "kann ihnen das helfen. Manchmal passiert nichts Schlimmes, wenn man eine Pflicht
erst später erledigt. Aber wenn es sich um Affenbrotbäume handelt,
dann ist es immer eine Katastrophe. Ich kannte einen Planeten, auf
dem ein Faulpelz wohnte. Er hatte drei Sträucher einfach nicht beachtet ..."
Nach den Beschreibungen des kleinen Prinzen zeichnete ich diesen
Planeten. Ungern klinge ich wie ein Moralapostel. Aber wie gefähr!25
lich Affenbrotbäume sind, ist so wenig bekannt und die Risiken für
jemanden, der sich auf einen Asteroiden verirrt, sind so groß, dass
ich einmal eine Ausnahme mache. Ich sage "Kinder! Vorsicht vor
Affenbrotbäumen!" Um meine Freunde vor dieser unbekannten
Gefahr zu warnen, der sie – ebenso wie ich – bislang stets knapp
entkommen waren. Für die Erkenntnis aber hat es sich gelohnt. Ihr
fragt euch vielleicht: "Warum gibt es in diesem Buch nicht noch
andere so großartige Bilder wie jenes mit den Affenbrotbäumen?"
Die Antwort ist einfach: Ich habe es versucht, aber es ist mir missglückt. Beim Zeichnen der Affenbrotbäume hatte ich jedoch das
Gefühl, es sei wirklich dringend.
!26
Kapitel VI
Ach, kleiner Prinz, nach und nach habe ich so dein kleines trauriges
Leben verstanden. Lange Zeit blieb dir nur die Lieblichkeit der
Sonnenuntergänge, um dich zu zerstreuen. Dieses Detail erfuhr ich
am Morgen des vierten Tages, als du mir sagtest:
- "Ich mag Sonnenuntergänge. Lass uns einen Sonnenuntergang
anschauen..."
- "Aber man muss warten ..."
- "Worauf denn warten?"
- "Darauf, dass die Sonne untergeht."
Du wirktest zunächst sehr überrascht, aber musstest dann selbst
lachen. Und du hast zu mir gesagt:
- "Ich glaube immer noch, ich sei bei mir!"
Tatsächlich. Wenn es in den Vereinigten Staaten von Amerika Mittagszeit ist, das weiß ja jeder, dann geht in Frankreich die Sonne
unter. Man müsste innerhalb einer Minute nach Frankreich gelangen können, um den Sonnenuntergang dort zu sehen. Leider ist
Frankreich viel zu weit entfernt. Aber auf deinem kleinen Planeten,
da musst du nur den Stuhl um ein paar Schritte verrücken und
schon siehst du die Abenddämmerung, wann immer du willst.
!27
- "Einmal hab ich die Sonne dreiundvierzig Mal untergehen sehen!"
Und ein wenig später fügtest du hinzu:
- "Weißt du ... wenn man sehr traurig ist, dann liebt man Sonnenuntergänge."
- "Also warst du an dem Tag mit den dreiundvierzig Mal besonders
traurig?"
Aber der kleine Prinz antwortete nicht.
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Kapitel VII
Am fünften Tag kam ich, wieder einmal dank des Schafes, hinter
ein weiteres Geheimnis im Leben des kleinen Prinzen. Ohne Umschweife fragte er mich geradeheraus, als pflücke er die Frucht eines lange im Stillen gereiften Problems:
- "Wenn ein Schaf Sträucher frisst, dann also auch Blumen?"
- "Ein Schaf frisst einfach alles, was es findet."
- "Selbst wenn die Blumen Dornen haben?"
- "Ja, selbst Blumen mit Dornen."
- "Wozu dienen dann diese Dornen?"
Ich wusste es nicht. Unterdessen war ich mit dem Versuch beschäftigt, an meinem Motor einen Bolzen zu lockern, der zu festgezogen
war. Ich war sehr besorgt, denn langsam schien mir meine Panne
doch sehr ernst und das zur Neige gehende Trinkwasser ließ mich
das Schlimmste befürchten.
- "Wozu sind die Dornen gut?"
Der kleine Prinz ließ nie von einer Frage ab, wenn er sie einmal
gestellt hatte. Ich war von meinem Bolzen abgelenkt und so antwortete ich einfach Irgendetwas:
- "Die Dornen sind zu überhaupt nichts nutze. Die Blumen lassen
sie nur aus Gemeinheit wachsen."
- "Oh!"
Aber nach einem Augenblick Stille, da erwiderte er verärgert:
- "Ich glaube dir nicht! Blumen sind schwach. Sie sind leichtgläubig. Sie schützen sich nur, so gut sie können. Mit den Dornen glauben sie, sehen sie gefährlich aus ..."
Ich antwortete nichts. Sondern sagte mir in diesem Augenblick:
- "Wenn dieser Bolzen nicht nachgibt, muss ich ihn mit dem Hammer herauslösen."
!29
Wieder unterbrach der kleine Prinz meine Überlegungen:
- "Und du glaubst, dass diese Blumen ..."
- "Aber nein! Aber nein! Ich glaube gar nichts! Ich habe nur irgendwas geantwortet. Ich muss mich hier um wichtige Dinge
kümmern!"
Er schaute mich erstaunt an.
- "Um wichtige Dinge?"
Er sah mich an, wie ich den Hammer in der Hand und mit ölverschmierten Händen über einem Ding hing, das ihm ausgesprochen
hässlich erscheinen musste.
- "Du sprichst wie die Erwachsenen!"
Das beschämte mich etwas. Aber er fügte noch unerbittlich hinzu:
- "Du verwechselst alles ... Du bringst alles durcheinander!"
Er war wirklich sehr aufgebracht. Er schüttelte sein goldenes Haar
im Wind.
- "Es gibt einen Mann mit hochrotem Kopf. Er hat noch nie den
Duft einer Blume gerochen. Er hat noch niemals einen Stern betrachtet. Er hat noch niemals jemanden geliebt. Nie hat er etwas
anderes getan, als Zahlen zu addieren. Und den ganzen Tag wiederholt er, so wie du: Ich bin ein ernstzunehmender Mann! Ich bin ein
wichtiger Mann! Und damit brüstet er sich voller Hochmut. Aber er
ist gar kein Mann, er ist ein Pilz."
- "Ein was bitte?"
- "Ein Pilz!"
Der kleine Prinz war vor Zorn nun ganz bleich geworden.
- "Seit tausenden Jahren lassen Blumen Dornen wachsen. Seit tausenden Jahren fressen die Schafe die Blumen trotzdem. Und es soll
nicht wichtig sein, verstehen zu wollen, warum sie sich so mühsam
Dornen wachsen lassen, die zu gar nichts nutze sind? Dieser Krieg
!30
zwischen Schafen und Blumen soll nicht wichtig sein? Das ist nicht
ernstzunehmender und wichtiger als die Berechnungen eines dicken
rotbäckigen Mannes? Und wenn ich eine Blume kenne, die es nur
ein Mal auf dieser Welt gibt, nirgends außer auf meinem Planeten,
und wenn nun ein kleines Schaf eines Morgens diese Blume einfach so mit einem Biss vernichten kann, ohne zu wissen, was es tut
– dann soll das nicht
wichtig sein?!"
Er lief ganz rot an und
fuhr dann fort:
- "Wenn jemand eine
Blume liebt, die es auf
zig Millionen Sternen
nur ein einziges Mal
gibt, dann reicht ihm ein
Blick zu ihnen hinauf,
um glücklich zu sein. Er
sagt sich: "Irgendwo
dort ist meine Blume ..."
Aber wenn das Schaf die Blume frisst, so ist es für ihn so, als seien
ganz plötzlich alle Sterne verschwunden. Und das soll nicht wichtig
sein?"
Mehr brachte er nicht hervor. Er fing auf einmal an zu schluchzen.
Die Nacht war hereingebrochen. Ich hatte mein Werkzeug beiseitegelegt. Mein Hammer, mein Bolzen, der Durst und der Hunger erschienen mir auf einmal albern. Es gab auf einem Stern, auf einem
Planeten, auf meinem Planeten, der Erde, einen kleinen Prinzen zu
trösten. Ich nahm ihn in die Arme. Ich wiegte ihn. Ich sagte zu ihm:
!31
"Deine geliebte Blume ist nicht in Gefahr ... Ich werde deinem
Schaf einen Maulkorb zeichnen. Ich zeichne dir eine Rüstung für
deine Blume ... Ich ..." Ich wusste wirklich nicht, was ich sagen
sollte. Ich fühlte mich sehr schlecht. Ich wusste nicht, wie ich ihm
näher komme, wie ich ihm beistehen konnte ... Das Land der Tränen ist voller Geheimnisse.
!32
Kapitel VIII
Schon bald lernte ich jene Blume besser kennen. Auf dem Planeten
des kleinen Prinzen hatte es schon immer Blumen gegeben, sehr
einfache, verziert nur mit einem Kranz von Blütenblättern; sie waren kaum zu bemerken und sie störten niemanden. Sie sprossen
eines Morgens aus dem Gras und am Abend waren sie wieder verschwunden. Doch eines Tages keimte ein Spross aus einem Samen,
von dem keiner wusste, woher er kam und der kleine Prinz überwachte ganz genau diesen kleinen Halm, der nicht so aussah wie
die anderen. Das konnte eine neue Art des Affenbrotbaumes sein.
Doch bald schon hörte der Strauch auf zu wachsen und eine Blüte
gedieh heran. Der kleine Prinz sah zu, wie eine enorme Knospe
keimte und er fühlte, es würde etwas Zauberhaftes daraus erwachsen, doch die Blume wurde und wurde nicht fertig damit, sich im
Schutze ihrer grünen Kammer herauszuputzen. Sorgfältig wählte
sie ihre Farben aus. Langsam zog sie sich an und rückte ihre Blütenblätter eines nach
dem anderen zurecht.
Sie wollte nicht ganz
zerknittert herauskommen wie die
Mohnblumen. Sie
wollte nur in voller
Schönheit aufblühen.
Oh ja! Sie war sehr
eitel! So hatte sie
tagelang vor dem
Spiegel gestanden.
!33
Und dann, eines morgens, als die Sonne aufging, hatte sie sich gezeigt. Und sie, die sich so sorgfältig herausgeputzt hatte, sagte gähnend:
- "Ah! Ich bin noch ganz verschlafen ... Sie müssen mich entschuldigen ... Ich bin noch ganz zerzaust ..."
Der kleine Prinz konnte seine Bewunderung nicht mehr verbergen:
- "Wie schön Sie sind!"
- "Das ist wohl wahr!", antwortete die Blume sanftmütig. Und ich
bin im gleichen Moment geboren wie die Sonne ..."
Der kleine Prinz ahnte, dass sie nicht sonderlich bescheiden war,
aber sie war dennoch so reizend!
- "Es ist bald Zeit zum Frühstücken", fügte sie kurz darauf hinzu.
"Hätten Sie die Güte, an mich zu denken?"
Und ganz verwirrt holte der kleine Prinz eine Kanne mit frischem
Wasser, um die Blume zu gießen.
Bald schon nervte sie
ihn mit ihrer scheuen
Eitelkeit. Eines Tages
zum Beispiel, als sie
dem kleinen Prinzen von
ihren vier Dornen erzählte, hatte sie zu ihm
gesagt:
- "Die Tiger sollen nur
kommen mit ihren Krallen!"
!34
- "Auf meinem Planeten gibt es keine Tiger", erwiderte der kleine
Prinz. "Und außerdem fressen Tiger kein Gras."
- "Ich bin kein Gras", antwortete die Blume sanft.
- "Entschuldigen Sie mich ..."
- "Vor Tigern fürchte ich mich nicht, aber jeder Luftzug ist mir ein
Graus. Hätten Sie nicht einen Wandschirm?"
- "Grauen vor Luftzug ... das sind schlechte Aussichten für eine
Blume", bemerkte der kleine Prinz. "Diese Blume ist äußerst kompliziert."
!
- "Stellen Sie mich am Abend einfach unter eine Glasglocke. Es ist
sehr kalt bei ihnen. Das ist schlecht eingerichtet. Da, wo ich herkomme ..."
Aber sie unterbrach sich. Sie war ja als Samen gekommen. Sie
konnte gar nichts von den anderen Welten kennen. Beschämt, dass
!35
sie sich selbst mit einer so einfallslosen Lüge enttarnt hatte, hustete
sie zwei- oder drei Mal, damit sich der kleine Prinz schuldig fühlte:
- "Dieser Wandschirm?…"
- "Ich wollte ihn eben holen gehen, aber Sie sprachen mit mir!"
Wieder hatte sie sich gezwungen zu husten, um ihm ein schlechtes
Gewissen zu machen.
So hatte der kleine Prinz, obwohl er durch seine Liebe guten Willens war, rasch an ihr gezweifelt. Er hatte unwichtige Worte allzu
ernst genommen und war dabei sehr unglücklich geworden.
- "Ich hätte nicht auf sie hören
sollen", vertraute er mir eines
Tages an. "Auf Blumen sollte
man niemals hören. Man muss
sie anschauen und einatmen.
Meine ließ meinen Planeten duften, aber ich konnte mich nicht
darüber freuen. Diese Geschichte
mit den Krallen, die mich derart
zornig gemacht hatte, hätte mir
eigentlich zu Herzen gehen sollen
..."
Und weiter vertraute er mir an:
- "Ich war nicht in der Lage, es zu verstehen. Ich hätte sie nach ihren Taten und nicht nach ihren Worten beurteilen sollen. Sie spendete mir Duft, sie strahlte für mich. Niemals hätte ich fliehen dürfen. Hinter den armseligen Boshaftigkeiten hätte ich ihre Zärtlich-
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keit erkennen müssen. Blumen sind voller Widersprüche! Aber ich
war zu jung, um sie lieben zu können."
!
!37
Kapitel IX
Ich glaube, für seine Flucht diente ihm ein Schwarm wilder Zugvögel. Am Tag seiner Abreise räumte er seinen Planeten auf. Die noch
aktiven Vulkane fegte er sorgfältig sauber. Er besaß zwei aktive
Vulkane. Die waren nützlich, um sich sein Frühstück aufzuwärmen.
Er besaß auch einen erloschenen Vulkan. Aber er sagte sich: Man
weiß ja nie! So fegte er auch den erloschenen Vulkan. Wenn Vulkane sauber gefegt sind, brennen sie nur ganz leicht und gleichmäßig,
ohne auszubrechen. Vulkanische Ausbrüche sind so wie Kaminfeuer. Wir auf der Erde sind viel zu klein, um unsere Vulkane abzufegen. Darum bereiten sie uns so viele Sorgen. Auch die letzten Triebe der Affenbrotbäume riss der kleine Prinz betrübt heraus. Er
dachte, er würde nie wiederkommen. Aber all diese vertrauten
Handgriffe erschienen ihm an diesem Morgen sehr angenehm. Und
als er die Blume zum letzten Mal goss und sie unter ihre schützende Glasglocke stellen wollte, da überkam ihn das Bedürfnis zu weinen.
- "Adieu", sagte er zu der Blume. Aber sie antwortete ihm nicht.
- "Adieu", wiederholte er.
Die Blume musste husten. Aber das lag nicht an ihrer Erkältung.
- "Ich bin dumm gewesen", sagte sie schließlich. "Bitte verzeih mir.
Versuche, glücklich zu sein."
Er war überrascht darüber, keine Vorwürfe zu hören. Er blieb ganz
erstaunt stehen, die Glasglocke in den Händen. Diese ruhige Liebenswürdigkeit verstand er nicht.
- "Aber ja, ich liebe dich", sagte die Blume. Ich bin schuld, dass du
es nicht bemerkt hast. Es ist nicht wichtig. Du warst ebenso dumm
wie ich. Versuche, glücklich zu sein ... Leg die Glasglocke weg, ich
möchte sie nicht mehr. "
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- "Aber der Wind ..."
- "So erkältet bin ich gar nicht ... Der nächtliche Wind wird mir gut
tun. Ich bin eine Blume."
- "Aber die Insekten ..."
- "Ich muss schon zwei oder drei Raupen aushalten, wenn ich die
Schmetterlinge kennenlernen will. Sie sollen so wunderschön sein.
Wer wird mich ansonsten besuchen? Du wirst weit fort sein. Was
die großen Tiere angeht, habe ich keine Angst. Ich habe meine
Dornen."
Leichtgläubig zeigte sie ihre vier Dornen. Dann fügte sie hinzu:
- "Trödel nicht so rum, das ist ärgerlich. Du hast entschieden fortzugehen. Mach dich auf den Weg!"
Sie wollte nicht, dass er sie weinen sieht. Sie war eine so stolze
Blume …
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!40
Kapitel X
Er befand sich in der Gegend der Asteroiden 325, 326, 327, 328,
329 und 330. So begann er, ihnen einen Besuch abzustatten, um
sich zu beschäftigen und sich schlau zu machen. Auf dem ersten
lebte ein König. Der König saß in Purpur und Hermelin gekleidet
auf einem Thron, der schlicht aber majestätisch war.
- "Ah! Ein Untertan", freute er sich, als er den kleinen Prinzen sah.
Und der kleine Prinz fragte:
- "Wie kommt es, dass Sie mich kennen. Sie haben mich noch nie
zuvor gesehen!"
Er wusste nicht, dass die Welt für Könige sehr einfach ist: Alle
Menschen sind Untertanen.
- "Komm mal näher heran, damit ich dich besser sehen kann", sagte
der König, ganz stolz darauf, jemandes König sein zu können.
Der kleine Prinz schaute sich nach einer Sitzgelegenheit um, doch
der herrliche Hermelinmantel nahm den ganzen Planten ein. So
blieb er stehen, doch vor Müdigkeit musste er gähnen.
- "Es gehört sich nicht, in Gegenwart eines Königs zu gähnen",
ermahnte ihn der Monarch. Ich untersage es dir.
- "Ich kann nichts dagegen machen", antwortete der kleine Prinz
ganz verwirrt. "Ich habe eine lange Reise hinter mir und kam nicht
zum Schlafen ..."
- "Dann befehle ich dir, zu gähnen", sagte der König zu ihm. "Seit
Jahren habe ich niemanden mehr gähnen gesehen. Gähnen ist eine
wahre Seltenheit für mich. Also los! Gähne noch mal. Dies ist ein
Befehl."
!41
- "Das schüchtert mich ein ... ich kann nicht mehr", erwiderte der
Prinz und wurde ganz rot.
- "Hm! Hm!" machte der König ... Dann befehle ich dir mal zu
gähnen und mal zu ...“
Er stammelte ein wenig und schien verärgert. Denn dem König lag
besonders daran, dass seine Autorität geschätzt würde. Ungehorsam
tolerierte er nicht. Er war ein strenger Monarch. Doch weil er sehr
gütig war, gab er vernünftige Befehle.
- "Wenn ich den Befehl erteile", sagte er häufig, "dass sich ein General in einen Meeresvogel verwandeln soll und der General gehorcht nicht, so wäre es nicht sein Fehler. Es wäre mein Fehler."
- "Darf ich mich setzen?", fragte der kleine Prinz schüchtern.
- "Ich befehle dir, dich zu setzen", antwortete der König, und rückte
würdevoll einen Zipfel seines Hermelinmantels zurecht.
Aber der kleine Prinz wunderte sich. Der Planet war winzig. Über
wen konnte der König denn regieren?
- "Hoheit", sagte er ... "verzeiht mir, wenn ich Sie unterbreche ..."
- "Ich befehle dir, mich zu unterbrechen", sagte der König eilig.
- "Hoheit ... worüber herrscht Ihr?"
- "Über alles", antwortete schlichtweg der König.
- "Über alles?"
Mit einer taktvollen Geste zeigte der König auf seinen Planeten, auf
die anderen Planeten und die Sterne.
- "Über das alles?", sagte der kleine Prinz.
- "Über das alles ...", antwortete der König.
Denn er war nicht nur ein absoluter Monarch, sondern ein universeller.
- "Und auch die Sterne gehorchen Euch?"
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- "Natürlich", sagte der König. "Sie gehorchen aufs Wort. Ich toleriere keinen Ungehorsam."
- Der kleine Prinz bewunderte solch eine große Macht. Wenn er sie
selbst besäße, könnte er nicht nur vierundvierzig, sondern zweiundsiebzig oder gar hundert oder zweihundert Sonnenuntergänge an
einem Tag sehen, ohne nur ein einziges Mal seinen Stuhl zu verrücken! Und weil er ein wenig traurig war, beim Gedanken an seinen
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verlassenen Planeten, fasste er Mut und bat den König um einen
Gefallen:
- "Ich würde so gerne einen Sonnenuntergang sehen ... Macht mir
die Freude ... Befehlt der Sonne, unterzugehen ..."
- "Wenn ich einem General den Befehl geben würde, wie ein
Schmetterling von einer Blume zur nächsten zu fliegen oder eine
Tragödie zu verfassen oder sich in einen Meeresvogel zu verwandeln und wenn der General den erhaltenen Befehl nicht ausführen
würde? Wer von uns beiden wäre dann im Unrecht, er oder ich?"
- "Ihr wäret es", antwortete der Prinz voller Überzeugung.
- "Genau. Man muss von jedem das verlangen, was er geben kann",
erwiderte der König. Autorität erlangt man zuallererst durch Vernunft. Befiehlst Du einem Volk, sich ins Meer zu schmeißen, so
wird es eine Revolution anzetteln. Ich habe das Recht, Gehorsam
zu verlangen, weil meine Befehle vernünftig sind."
- "Wie steht es also um meinen Sonnenuntergang?", fragte nochmals der kleine Prinz, der niemals von einer Frage abließ, wenn er
sie einmal gestellt hatte.
- "Du bekommst deinen Sonnenuntergang. Ich werde ihn anordnen.
Aber da ich zu regieren verstehe, werde ich abwarten, bis die Umstände günstig sind."
- "Wann wird das sein?", wollte der kleine Prinz wissen.
- "Hm. hm!", antworte der König und schaute zunächst in einen
dicken Kalender. "Hm! Hm! das wird um ... um ... es wird heute
Abend um sieben Uhr vierzig sein! Und du wirst sehen, wie man
mir gehorcht."
Der kleine Prinz gähnte. Er bedauerte, dass ihm der Sonnenuntergang vorenthalten blieb. Und dann langweilte er sich schon ein
bisschen:
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- "Ich habe hier nichts mehr zu tun", sagte er zum König. Ich werde
wieder aufbrechen!"
- "Geh nicht fort", antwortete der König, der so stolz darauf war,
einen Untertan zu haben. "Geh nicht fort, ich mache dich zum Minister!"
- "Zu was für einem Minister?"
- "Zum ... zum Justizminister!"
- "Aber es gibt doch niemanden, den man verurteilen könnte!"
- "Das weiß man doch nicht", sagte der König. "Ich war noch nicht
an jedem Ort meines Königreiches. Ich bin sehr alt und es fehlt der
Platz für ein Gefährt und das Laufen ermüdet mich."
- "Oh! Aber ich habe es schon gesehen.", sagte der kleine Prinz und
neigte seinen Kopf, um nochmals auf die andere Seite des Planeten
zu schauen. "Dort ist auch niemand ..."
- "So wirst du über dich selbst Urteil sprechen", sagte der König.
"Das ist am schwierigsten. Viel schwieriger, als über andere zu urteilen.
Wenn du es schaffst, über dich selbst ein Urteil zu fällen, dann bist
du ein wirklich weiser Mensch."
- "Ich", sagte der kleine Prinz, "ich kann überall über mich selbst
urteilen. Dazu muss ich nicht hier wohnen."
- "Hm, hm!", sagte der König. "Ich habe den Eindruck, auf meinem
Planten gibt es irgendwo eine alte Ratte. Des Nachts höre ich sie.
Über diese alte Ratte könntest du ein Urteil fällen. Von Zeit zu Zeit
verurteilst du sie zum Tode. Ihr Leben wird von deinem Urteil abhängen. Aber jedes Mal wirst du sie begnadigen, denn sie muss ja
aufgespart werden. Es gibt schließlich nur eine."
- "Ich mag kein Todesurteil sprechen", sagte der kleine Prinz, "und
ich werde jetzt lieber gehen."
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- "Nein", sagte der König.
Zwar hatte der kleine Prinz schon alle Vorkehrungen getroffen, aber
er wollte den alten Monarchen nicht traurig machen:
- "Wenn Eure Majestät sich wünscht, man möge zur rechten Zeit
gehorchen, so könnten Sie mir einen vernünftigen Befehl geben.
Sie könnte zum Beispiel befehlen, ich solle innerhalb von einer
Minute verschwinden. Mir scheint, die Umstände sind günstig ..."
Weil der König nichts erwiderte, zögerte der kleine Prinz zunächst,
aber dann brach er seufzend auf.
- "Ich mache dich zu meinem Botschafter", rief der König ihm eilig
hinterher. Er legte große Autorität an den Tag.
- "Die Erwachsenen sind doch wirklich sonderbar!", sagte sich der
kleine Prinz auf seiner Reise.
!46
Kapitel XI
Der zweite Planet wurde von einem Eitlen bewohnt.
- "Ah, ah! Besuch eines Verehrers!", freute sich der Eitle als er den
kleinen Prinzen sah.
Denn für eitle Menschen sind alle anderen Verehrer.
- "Guten Tag", sagte der kleine Prinz. "Sie haben einen merkwürdigen Hut!"
- "Der ist zum Grüßen", sagte der Eitle. "Damit ich zurück grüßen
kann, wenn jemand mich anhimmelt ... Nur leider kommt hier nie
jemand vorbei."
- "Ach so?", sagte der kleine Prinz, ohne recht zu verstehen.
- "Schlag mal mit der einen Hand auf die andere", riet ihm der Eitle.
Der kleine Prinz schlug mit der einen auf die andere Hand. Der
Eitle grüßte in aller Bescheidenheit, indem er den Hut zog.
- "Das ist immerhin witziger als der Besuch beim König", sagte der
kleine Prinz zu sich selbst. Wieder schlug er die Hände zusammen.
Wieder zog der Eitle zum Gruß seinen Hut. Nach fünf Minuten
ödete die Eintönigkeit des Spiels den kleinen Prinzen an:
- "Und was muss man tun, damit der Hut runterfällt?"
Doch der Eitle hörte ihn nicht. Eitle Menschen hören nur, wenn sie
gelobt werden.
- "Verehrst du mich wirklich?", fragte er den kleinen Prinzen.
- "Was bedeutet verehren?"
- "Verehren bedeutet, zuzugeben, dass ich der schönste, am besten
gekleidete, reichste und intelligenteste Mensch auf dem Planeten
bin."
- "Aber du bist ganz allein auf deinem Planeten!"
- "Tue mir den Gefallen. Verehre mich trotzdem!"
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- "Ich verehre dich", sagte der kleine Prinz, und zuckte dabei mit
den Schultern. "Aber warum interessiert dich das bloß?"
- Und der kleine Prinz brach wieder auf.
- "Die Erwachsenen sind doch wirklich ungewöhnlich!", sagte er
sich auf seiner Reise.
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Kapitel XII
Auf dem nächsten Planeten wohnte ein Säufer. Es war ein sehr kurzer Besuch, doch tauchte er den kleinen Prinzen in eine große Traurigkeit:
- "Was machst du da?", fragte er den Säufer, der schweigend vor
einer Ansammlung leerer und voller Flaschen saß.
- "Ich saufe", antwortete finster der Säufer.
- "Warum säufst du?", fragte ihn der kleine Prinz.
- "Um zu vergessen", sagte der Säufer.
- "Um was zu vergessen?", erkundigte sich der kleine Prinz und
bedauerte ihn schon.
- "Um zu vergessen, dass ich mich schäme", gab der Säufer zu und
senkte den Kopf.
- "Für was schämst du dich?", fragte der kleine Prinz, der den
Wunsch hatte, ihm zu helfen.
- "Fürs Saufen!", gab der Säufer zu und vergrub sich endgültig in
Schweigen.
Und ganz perplex machte sich der kleine Prinz wieder auf und davon.
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- "Die Erwachsenen sind doch wirklich wunderlich!", sagte er sich
auf seiner Reise.
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Kapitel XIII
Der vierte Planet gehörte einem Geschäftsmann. Der Mann war so
beschäftigt, dass er bei der Ankunft des kleinen Prinzen nicht einmal den Kopf hob.
- "Guten Tag", sagte dieser zu ihm.
- "Ihre Zigarette ist ausgegangen."
- "Drei und zwei macht fünf. Fünf und sieben zwölf. Zwölf und
drei ist fünfzehn. Fünfzehn und sieben ist zweiundzwanzig. Keine
Zeit, um sie wieder anzuzünden. Uff! Das macht also fünfhunderteine Million, sechshunderzweiundzwanzigtausendsiebenhunderteinunddreißig."
- "Fünfhundert Millionen wovon?"
- "Wie? Du bist noch hier? Fünfhunderteine Millionen von ... ich
weiß es nicht mehr ... ich habe so viel Arbeit! Ich bin mit Ernst bei
der Sache, für Quatsch hab ich keine Zeit! Zwei und fünf ist
sieben ..."
"Fünfhundert Millionen wovon?", wiederholte der kleine Prinz, der
niemals von einer Frage abließ, wenn er sie einmal gestellt hatte.
Der Geschäftsmann hob den Kopf:
- "In den vierundfünfzig Jahren, seit ich auf diesem Planeten lebe,
wurde ich nur drei Mal gestört. Das erste Mal vor zweiundzwanzig
Jahren, als ein Maikäfer von weiß Gott wo herabgefallen ist.
Er machte einen furchtbaren Lärm und ich habe mich beim addieren gleich viermal verrechnet. Das zweite Mal war vor elf Jahren,
bei plötzlichen Gelenkschmerzen. Ich mache zu wenig Sport. Ich
habe keine Zeit zu vertrödeln. Ich bin mit Ernst bei der Sache. Das
dritte Mal ... ah, da haben wir's. Ich war bei fünfhunderteiner Million ..."
- "Millionen wovon?"
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Der Geschäftsmann verstand, dass er nicht darauf hoffen konnte, in
Ruhe gelassen zu werden:
- "Millionen dieser kleinen Dinger, die man manchmal am Himmel
sieht."
- "Fliegen?"
- "Aber nein, diese kleinen leuchtenden Dinger."
- "Bienen?"
- "Aber nein. Kleine goldene Dinger, die Faulpelze zum Träumen
bringen. Aber ich bin mit Ernst bei der Sache! Ich habe keine Zeit
zum Träumen."
- "Ah, die Sterne?"
- "Ja genau, so ist es, die Sterne."
- "Und was machst du mit fünfhundert Millionen Sternen?"
- "Fünfhunderteine Million, sechshundertzweiundzwanzigtausendsiebenhunderteinunddreißig. Ich bin mit Ernst bei der Sache, ich
bin exakt!"
- "Und was machst du mit diesen Sternen?"
- "Was ich damit mache?"
- "Ja."
- "Nichts. Ich besitze sie."
- "Du besitzt die Sterne?"
- "Ja."
- "Aber ich habe schon einen König getroffen, der ..."
- "Könige besitzen nichts. Sie ,regieren überʻ. Das ist etwas ganz
anderes."
- "Und was bringt es dir, Sterne zu besitzen?"
- "Dadurch bin ich reich."
- "Und was bringt es dir, reich zu sein?"
- "So kann ich andere Sterne kaufen, wen jemand welche findet."
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- "Dieser Typ", sagte sich der kleine Prinz, "er denkt ein bisschen
so wie mein Säufer."
Dennoch stellte er weitere Fragen:
- "Wie kann man denn Sterne besitzen?"
- "Wem gehören sie denn?", gab der Geschäftsmann mürrisch zurück.
- "Ich weiß nicht. Niemandem."
- "Na dann gehören sie mir, denn ich habe als Erster daran
gedacht."
- "Das reicht aus?"
- "Sicher. Wenn du einen Diamanten findest, der niemandem gehört, so gehört er dir. Wenn du eine Insel findest, die niemandem
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gehört, so gehört sie dir. Wenn du als Erster eine Idee hast, lässt du
sie patentieren: sie gehört dir. Und mir gehören die Sterne, denn
niemand vor mir hat sich darum geschert, sie zu besitzen.
- "Das stimmt wohl", sagte der kleine Prinz. "Und was machst du
mit ihnen?"
- "Ich verwalte sie. Ich zähle sie und dann zähle ich sie wieder",
sagte der Geschäftsmann. Das ist schwierig aber ich bin ein ernstzunehmender Mann!"
Der kleine Prinz war nicht zufrieden.
- "Ich besitze einen Schal, den kann ich mir um den Hals binden
und mitnehmen. Wenn mir eine Blume gehört, kann ich sie pflücken und mitnehmen. Aber du kannst die Sterne ja nicht pflücken!"
- "Nein, aber ich kann sie auf die Bank bringen."
- "Was soll das heißen?"
- "Das bedeutet, ich schreibe die Anzahl der Sterne auf einen kleinen Zettel. Und diesen Zettel verschließe ich dann in einer Schublade."
- "Das ist alles?"
- "Das reicht schon!"
- "Das ist witzig", dachte der kleine Prinz. "Es klingt fast poetisch.
Aber wirklich ernst gemeint ist es nicht."
Von ernsten Dingen hatte der kleine Prinz eine ganz andere Vorstellung als die Erwachsenen.
- "Ich", sagte er noch, "ich besitze eine Blume, die ich jeden Tag
gieße. Ich besitze drei Vulkane, die ich jede Woche fege. Denn ich
fege sogar jenen, der schon erloschenen ist. Man weiß ja nie. Meinen Vulkanen nutzt es, ebenso wie meiner Blume, dass ich sie besitze ... Aber für deine Sterne bist du ganz unnütz ..."
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Der Geschäftsmann öffnete den Mund aber ihm fiel keine Antwort
ein und der kleine Prinz machte sich auf und davon.
"Die Erwachsenen sind doch wirklich komisch!", sagte er sich auf
seiner Reise.
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Kapitel XIV
Der fünfte Planet war äußerst merkwürdig. Es war der kleinste von
allen. Es gab gerade genug Platz für eine Straßenlaterne und einen
Laternenanzünder. Der kleine Prinz konnte sich nicht erklären,
wozu man irgendwo im Himmel, auf einem Planeten ohne Häuser
und Menschen eine Straßenlaterne und einen Laternenanzünder
gebrauchen könnte. Dennoch sagte er sich:
"Gut möglich, dass dieser Mann merkwürdig ist. Dennoch ist er
nicht so merkwürdig wie der König, der Eitle, der Geschäftsmann
oder der Säufer. Seine Arbeit hat zumindest einen Sinn. Wenn er
seine Laterne anzündet, dann ist es so, als würde er einen neuen
Stern erschaffen, oder eine Blume. Wenn er seine Laterne löscht,
schläft ein Stern ein oder eine Blume. Das ist eine sehr schöne Beschäftigung. Es ist wirklich nützlich, weil es schön ist."
Als er auf dem Planeten landete, grüßte er den Laternenanzünder
respektvoll:
- "Guten Tag. Warum hast du denn gerade deine Laterne gelöscht?"
- "So lautet die Vorschrift", sagte der Laternenanzünder. "Guten
Tag."
- "Was ist die Vorschrift?"
- "Die Laterne zu löschen. Guten Abend." Und er zündete sie wieder an.
- "Warum hast du sie nun wieder angezündet?"
- "Das ist die Vorschrift", antwortete der Laternenanzünder.
- "Ich verstehe es nicht", sagte der kleine Prinz.
- "Da gibt es nichts zu verstehen", sagte der Laternenanzünder. Vorschrift ist Vorschrift. Guten Tag."
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Und er machte die Laterne aus.
Dann wischte er sich mit einem rotkarierten Taschentuch die Stirn
ab.
- "Ich habe einen schrecklichen Beruf. Früher war das vernünftig.
Am Morgen löschte ich sie aus und am Abend zündete ich sie wieder an. Der Rest des Tages blieb mir zum Erholen und die Nacht
zum Schlafen.
- "Und seitdem wurde die Vorschrift geändert?"
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- "Die Vorschrift hat sich nicht geändert", sagte der Laternenanzünder. "Das ist ja das Drama! Der Planet hat sich von Jahr zu Jahr
schneller gedreht, aber die Vorschrift wurde nicht geändert!"
- "Ja, und?", sagte der kleine Prinz.
- "Jetzt dreht er sich ein Mal pro Minute, mir bleibt keine Sekunde
Pause. Pro Minute zünde ich einmal an und lösche einmal aus.
- "Das ist lustig. Bei dir dauern die Tage nur eine Minute!"
- "Das ist überhaupt nicht lustig", sagte der Laternenanzünder. Jetzt
reden wir schon einen Monat lang miteinander."
- "Einen Monat?"
- "Ja. Dreißig Minuten. Dreißig Tage. Guten Abend."
Und er zündete seine Laterne wieder an.
Der kleine Prinz schaute ihn an und er liebte diesen Anzünder, der
sich so streng an die Vorschrift hielt. Er erinnerte sich an die Sonnenuntergänge und wie er auf deren Suche früher seinen Stuhl
rückte. Er wollte seinem Freund helfen:
- "Weißt du ... ich weiß einen Weg, wie du dich ausruhen kannst,
wann immer du möchtest ..."
- "Immer her damit", sagte der Laternenanzünder.
Man kann gleichzeitig pflichtbewusst und faul sein. Der kleine
Prinz fuhr fort:
- "Dein Planet ist derart klein, dass du ihn mit drei Hüpfern umrundet hast. Du musst nur sehr langsam laufen, um immer in der Sonne
zu bleiben. Wenn du dich ausruhen willst, läufst du ... und der Tag
dauert so lange, wie du magst."